Das Reserve-Infanterie-Regiment 236 in der Champagne

Stellungskämpfe des Reserve-Infanterie-Regiment Nr. 236 südlich Rouvroy

Oktober 1916 bis 14. Februar 1917
Wer von der Sommefront in die Champagne kam, dem mochten selbst diese trostlosen Kreidegefilde, wie sie vorn, wo die Kompagnien sich die meiste Zeit aufhalten mußten, anzutreffen waren, als ein Paradies erscheinen. In Wirklichkeit waren es sehr reizlose, öde Landstriche, die wir kennen lernten, und es bedurfte schon einer längeren Bekanntschaft mit ihnen, bis man sich einigermaßen angewöhnt hatte. Freilich enthielt die Champagne auch romantische Gegenden, hübsche Flußtäler, Höhenzüge und Wälder, in denen ein Aufenthalt durchaus begehrenswert war, aber bekanntlich wird im Stellungskrieg nicht die Ruhezeit durch Stellungsperioden unterbrochen, sondern umgekehrt – die schönen Tage der Ruhe waren selten und stets peinlich genau abgezählt. Der Name dieser Gegend war uns allen aus den Schlachten des Jahres 1915 wohl bekannt, immerhin war es interessant genug, die Schauplätze dieser Kämpfe nun auch aus eigener Anschauung und eigenem Erleben kennen zu lernen. Von der gasschwangeren Sommeluft hatte das Regiment die Nase voll, das kreidehaltige Klima, so hoffte man, würde besser bekommen. Diese Kreide lag, durch die vielen Granateinschläge durchgewühlt, überall obenauf. Die Humusdecke war nur dünn, und unter ihr kam Kreide, nichts als Kreide. Sie verfolgte einen auf Schritt und Tritt. Man bekam sie sogar in der Suppe serviert, wenn die Essenholer das Pech hatten, in Artilleriefeuer zu geraten. Sie haftete an Kleidung, Schuhen und Ausrüstung, wie eine Wanze an ihrem Opfer, und manch kerniger Fluch des Grabenmannes machte sich Luft, wenn dieser die Kreide im Schweiße seines Angesichts aus der Montur herausputzen mußte. Man konnte es anfangen wie man wollte, solange man sich in Stellung aufhielt, war man immer weiß, In ihr lernte das Reserve-Infanterie-Regiment 236 zum ersten Mal eine Stellung kennen, die nach allen Regeln der Kunst ausgebaut war, eine Stellung, die der Besatzung ein Gefühl der Sicherheit und damit auch größerer Ruhe gab. Die vordere Linie bestand aus mehreren, ungefähr parallel hintereinander liegenden in den Kreideboden tief eingeschnitten Gräben mit genügend vielen vorzüglich ausgebauten schußsicheren Stollen. Eine Besonderheit dieser Stellung waren die großen Tunnels, wie z.Bsp. der Altrocktunnel, der Debustunnel, der Dithfurthtunnel u.a.m.  Diese Tunnels hatten Räume für Gefechtsstände, für Verbandstellen und Krankenstuben, für Mannschaften, für Bataillons-, Kompagnie- und Zugführer. In ihnen befanden sich ferner Küchen und Kantinen, Maschinenräumen, Fernsprechzentralen, Munitionsräume, Handwerkerstuben, Schreibstuben, Brunnen, Aborte. Sie besaßen verschiedene Ausgänge, auch unmittelbare Ausgänge in den Kampfgräben. Kamen die Menschen in diese unterirdischen Wohnungen nur kompagnie- oder höchstens bataillonsweise, so beherbergten letztere, was hier der Vollständigkeit halber nicht verschwiegen werden werden darf, jene Sorte von Kleinlebewesen, die die Schöpfung erschaffen hat, auf das es dem Menschen nicht zu wohl werde, in Regimentern, Brigaden und Divisionen. Die lieben Tierlein wußten eben die Sicherheit vor Feuerüberfällen, die sie da herinnen genossen, ebenfalls gebührend zu schätzen.

Rouvroy
Der Ort Rouvroy heute

Entsprechend den großartigen Verteidigungsanlagen waren für jeden Abschnitt besondere Verteidigungspläne aufgestellt, die für jeden möglichen Angriff Verhaltensmaßregeln gaben, und anhand der praktischen Erfahrungen dauernd vervollkommnet wurden, selbstredend auch sorgfältig auf dem Laufenden gehalten werden mußten. An Hand dieser Pläne war es ablösenden Truppenteilen möglich, sich rasch über die Verhältnisse rasch zu orientieren. Diese hervorragend ausgebaute Stellung hatte nur einen Nachteil: ihr fehlte die Tiefe. Vom vordersten Kampfgraben bis zum Regimentsgefechtsstand betrug diese nur etwa 200m, so daß der Gegner in der Lage gewesen wäre, sie bei energischem Angriff zu überrennen. Dabei hätten die Tunnels, wie sich an anderen Fronten später erwies, geradezu als Mausefallen für die Besatzung wirken können. Niemand wäre herausgekommen, wenn die Eingänge unter feindlichen M.G.-Feuer gelegen hätten. Mit aus diesem Grunde entschloß sich später das A.O.K. zum Angriff auf Höhe 185.

Sofort nach der Ankunft in St. Morel am 03. Oktober 03.40 Uhr vorm. begab sich der Regimentskommandeur auf Befehl der Division in die Stellung zur Erkundung und Stellungsnahme zu vorliegenden Verteidigungsplänen. Das I./236 marschierte über Monthois nach dem etwa 9 km entfernten Vieux, wo es Unterkunft in Baracken bezog. Der Regimentsstab nahm im Ort Quartier. Das II./236 traf um 9 Uhr vorm. in St. Morel ein und erreichte nach kurzer Frühstückspause, bis Monthois auf demselben Wege, das Endreslager, wo es gute Unterkunft fand. Das III./236, das zuletzt eintraf, marschierte über Savigny sur Aisne nach Falaise und quartierte sich als Ruhebataillon hier ein. Die Kompagnien der beiden Stellungsbataillone verbrachten die nächsten Tage mit Instandsetzung der Kleidung und Ausrüstung, mit Waffen- und Gasschutzappells, mit Baden und Entlausen. Am 07. Oktober bezog der Regimentsstab den Gefechtstand Tränke Nord südlich Rouvroy. In der Nacht vom 07./08. Oktober löste das I./ und II./236 zwei Bataillone des Landwehr-Infanterie-Regiment 71 in der Stellung ab. Das I./236 erreichte über Ardeuil – Cernay die vordere Linie und löste im linken Bataillons-Abschnitt das I./71 ab, das II. Btl. rückte über Ardeuil, Rouvroy vor und löste das III./71 im rechten Bataillons-Abschnitt ab. Die Stellung war mit mehreren Kampfgräben tief gegliedert, durch eine Reihe tief angelegter Verbindungsgräben konnte man überall gedeckt in die vorderen Gräben gelangen. In jedem Abschnitt lagen zwei Kompagnien in vorderer Linie, zwei rückwärts gestaffelt. Die Bataillons-Gefechtsstände befanden sich in Tränke Süd und im Arthurhang. Die 1. Pionier-Kompanie war im Altrock-Tunnel, der im rechten Abschnitt lag, untergebracht. Das ganze Gelände zwischen der Dormoise-Niederung und der vorderen Linie war durch Mulden und Hohlwege wellig geteilt. Die Verpflegung wurde aus am Arthurhang, im Tunnel und in Tränke Nord fest eingebauten Kochstellen mittels Speiseträgern nach vorne gebracht. Die Heranschaffung von Lebensmitteln und Material aller Art diente eine von Monthois nach Cernay führende Benzol-Bahn. In Cernay wurde auf Feldloren umgeladen, die dann von Pferden bis zum Arthurhang gezogen wurden. Die M.G. wurden auf die Stellung und das rückwärtige Gelände verteilt. So entfielen auf die Sturmabwehr 5, die Durchbruchsabwehr 10, den Tunnelschutz 3, die Fliegerabwehr 3 und auf Materialreserve 1 Gewehr. Zum M.G.-Offizier des Regiments wurde am 15. Oktober Lt. Eick ernannt. Die Gefechtsbagagen der Bataillone waren in Monthois einquartiert, die große Bagage hatte ihren Standort in Falaise beim Ruhebataillon. Die Artillerie der Division hatte ihre Stellung nördlich des Dormoisetales. Links vom Regiment lag das R.I.R. 234, rechts das R.I.R. 235 in Stellung.

Offiziere und Mannschaften lebten sich rasch in die neuen Verhältnisse ein und fühlten sich bald zu Hause, und das Heimweh nach Flanderns Gefilden verging mehr und mehr. Die Verpflegung war sehr gut. Trotzdem ließ der Gesundheitszustand in der ersten Zeit zu wünschen übrig. Ein Drittel aller Regimentsangehörigen erkrankte an Durchfall, der sogenannten Champagne-Krankheit. Als Gegenmaßnahme verordnete der Regimentsarzt einige fleischlose Tage, die stets halfen. Das feindliche Artilleriefeuer war erträglich, die Belästigungen durch feindliche Minen und Gewehrgranaten mußten als etwas Unvermeidliches hingenommen werden.

Nachdem die Kompagnien sich erst einmal in ihren Abschnitten auskannten, nahmen sie sofort den Patrouillendienst auf. In der Nacht vom 16./17. Oktober verließen in beiden Bataillonsabschnitten die ersten Erkundungspatrouillen unsere Gräben. Von dieser Nacht ab wurde die Tätigkeit regelmäßig fortgesetzt. Die Patrouillen erkundeten das Gelände zwischen den beiderseitigen Stellungen und ermittelten zunächst, daß die vordersten Kampfgräben etwa 60 bis 200 m, die Sappenköpfe noch weniger, von einander entfernt waren, und daß der Feind, wie auch wir selbst, ein durchweg gut ausgebautes Drahtverhau vor seinen Gräben hatte. Die vielen Granatlöcher im Zwischengelände boten den Patrouillen gute Deckung und Annäherungsmöglichkeit. Besonders beteiligt an diesen nächtlichen Ausflügen waren der Ltn. Burmeister, die Uffze. Dominik, Kalabis, Berninghaus, Schmidt und Heinemann, und die Gefreiten von Attefeld und Farrenkothen. Mitte des Monats traten durch schwere Minen des Feindes die ersten Verluste; die 8./236 hatte 1 Toten und 2 Verwundete zu beklagen. Da die Grabenwände nicht bekleidet waren, litten sie, besonders bei schlechter Witterung, durch die Mineneinschläge oft sehr. Der Arbeitsdienst zur Ausbesserung dieser Schäden und überhaupt zum immer besseren Ausbau der Stellung spielte deshalb eine gewichtige Rolle im Dasein der Stellungsbataillone. Namentlich die rückwärts gestaffelten und durch den Wachdienst weniger in Anspruch genommenen Kompagnien wurden zum Arbeitsdienst herangezogen. Aus gewissen Anzeichen mußte geschlossen werden, daß der Gegner Gasflaschen in seine Stellung einbaute. Bei für den Gegner günstigem Winde – Südwest – wurde daher bei uns stets Gasalarmbereitschaft angeordnet. Die Ablösung innerhalb des Regiments wurde in der Weise gehandhabt, daß jedes Bataillon nach 10-tägiger Ruhezeit in Falaise 20 Tage in einem der beiden Stellungsabschnitte eingesetzt wurde. Während dieser 20 Tage lösten die Bataillone die Kompagnien innerhalb ihrer eigenen Abschnitte in der vorderen Linie ab. Späterhin wurde die Leitung der Abschnitte aller drei Regimenter der Division in die Hand eines Kommandeurs, des Regiments-Kommandeur vom Dienst, die andern beiden Kommandeure bezogen rückwärtiges Standquartier. Die große Ablösung fand erstmals am 20. Oktober statt. Das III./236 rückte in Stellung und das II./236 wurde Ruhebataillon. Die Ruhezeit widmeten die Kompagnien der Erholung und Ausbildung. Es fanden statt: Appells aller Art, Unterricht, Gesundheitsbesichtigungen, Gottesdienste, Exerzieren, Schießen, Handgranatenübungen, Märsche und Geländeübungen sowie sportliche Veranstaltungen. Daneben fand jedermann noch Zeit, seinen besonderen Liebhabereien nachzugehen. Einmal innerhalb jeder Ruhezeit durften die Kompagnien das Lichtspieltheater in Vouziers besuchen. Am 18. Oktober hatte das III./236 Gelegenheit, den Kaiser und den Kronprinzen bei ihrem Besuch in Vouziers zu begrüßen. In Paradeaufstellung ließ es den allerhöchsten Kriegsherren an sich vorüberfahren. Mit Befehl des Generalkommandos vom gleichen Tage wurde Major Lauffer, bisher mit der Führung des Regiments beauftragt, zum Kommandeur des Regiments ernannt. Am 07. Oktober erhielt Vizefeldwebel Schulz, 6./236, das E.K. I verliehen, am 23. Oktober wurde Uffz. Seitz der 7./236 wegen Tapferkeit vor dem Feinde zum Vizefeldwebel befördert. Diese Auszeichnungen erfolgten noch für Taten in der Sommeschlacht. Vom 26. Oktober ab erteilte der Führer der großen Bagage, Ltn. Lämmert, den Offizieren des jeweiligen Ruhebataillons täglich eine Stunde Reitunterricht. Ferner wurde eine Führerschule eingerichtet, in der der junge Führernachwuchs auf seine künftigen Aufgaben vorbereitet wurde. So war für reichlich Abwechslung gesorgt.

Der Oktober ging vorüber, ohne besondere Ereignisse gebracht zu haben. Kurz vor Monatsschluß wurde ein Fernspruch des Feindes aufgefangen, wonach beabsichtigt war, in der kommenden Nacht Gas abzublasen. Die erforderlichen Gegenmaßnahmen wurden sofort getroffen, der Gasangriff blieb jedoch aus. Dagegen kam es infolge der Anwesenheit einer feindlichen Patrouille vor unserem Drahtverhau zu einem Handgranatenwechsel, der aus Besorgnis vor einem feindlichen Überfall mit einer Sperrfeueranforderung unsererseits endete. Als wieder Ruhe eingetreten war, führte Lt. Christmann eine Aufklärungspatrouille aus, die jedoch das Zwischengelände frei vom Feind fand. Die Verluste im Oktober, meist durch feindliches Minenfeuer veranlaßt, waren geringfügig.

Der Monat November brachte keine wesentlichen Veränderungen. Die Patrouillentätigkeit wurde in der üblichen Weise fortgesetzt. Ab und zu machten sich auch Patrouillen des Gegners im Vorgelände bemerkbar. Sie wurden jedesmal durch Handgranaten unserer Grabenposten rasch vertrieben. Im allgemeinen fühlten wir uns als Herren des Zwischengeländes. Als Patrouillenführer taten sich hervor: Lt. Christmann, Vizefeldwebel Schreiner, Uffz. Bücker, Gefr. Müllejans. Die feindliche Artillerietätigkeit war gegen den Vormonat gesteigert. Auch die Verluste nahmen infolgedessen zu, blieben aber immer noch in erträglichen Grenzen. Die Arbeiten zur Ausbesserung der eingeschossenen Graben- und Stellungsteile nahmen oft alle verfügbaren Kräfte in Anspruch. Auch beim Gegner wurde bedeutend regere Arbeitstätigkeit festgestellt, ein beruhigendes Zeichen für unsere Grabenbesatzung, dass jener die ernstlichen Angriffsabsichten, die ihm von unserer höheren Führung öfters zugesprochen wurden, nicht hege. Auch an unserer Front wurde nämlich die Fernsprechtätigkeit beim Feind überwacht. Es war ein Nachteil, daß von den damit beauftragten Stellen bisweilen auch Meldungen einliefen, die sich später als falsch erwiesen. Es mußte in Kauf genommen werden, denn bei der Nähe des Feindes konnte auf diese wichtige Nachrichtenquelle nicht verzichtet werden. Am 05. November wurde anstelle des Lt. Thumb Lt. d. R. Schaaf Ordonnanzoffizier des Regiments. Die Geschäfte des Gerichts- und Gasschutz-Offiziers übernahm Lt. Lange. Lt. Thumb blieb dem Regimentsstab zugeteilt. Für die Leistungen des Regiments an der Sommefront wurde nachträglich eine größere Anzahl E.K. II überwiesen. Sie wurden auf die Bataillone verteilt. Den Lts. Haubold und Mindermann wurde das E.K. I verliehen. Am 13. November bezog der Regimentsstab Quartier in Falaise, Hptm. Klein, als z. Zt. ältester Bataillons-Führer, wurde Kommandeur über den Regimentsabschnitt. Am 22. November besuchte der Großherzog von Baden in Monthois die badischen Angehörigen des Regiments. Am 24. November wurden durch Explosion einer Handgranate in einem Unterstand 2 Mann getötet, 2 schwer und 2 leicht verwundet. Am gleichen Tage wurde ein französisches Flugzeug im Luftkampf über unserer Stellung abgeschossen.

Etwa gegen Mitte November verlangte die Division vom Regiment eine Patrouillenunternehmung zwecks Einbringung von Gefangenen nach einem von ihr ausgearbeiteten Plan und gab bis in Einzelne gehende Anordnungen. Der Kommandeur erhob hiergegen Einspruch und erwiderte, daß nach seiner Meinung es zwar Lagen gäbe, wo solche, wie oben befohlene Patrouillenunternehmungen am Platze wären, daß dies jedoch Ausnahmen bleiben müßten, weil sie leicht mißlingen könnten. Gerade die Einzelheiten, auf die es ankomme, seien nicht der oberen Führung, sondern allein der Truppe bekannt. Außerdem empfinde die Truppe von oben befohlene Unternehmungen als Last, während solche von ihr selbst ausgehende ihre Angriffsfreudigkeit steigerten. Die Division erkannte die Berechtigung der Einwendungen des Regiments-kommandeurs an und befahl nun lediglich, baldmöglichst Gefangene einzubringen. Die Wahl der Unternehmung blieb dem Regiment überlassen. Der Kommandeur gab nunmehr den Befehl, daß künftig in jeder neuen Stellung jede in vorderster Linie eingesetzte Kompagnie das vorliegende Gelände möglichst schon in den ersten Nächten auf Patrouillenunternehmungen erkunden solle. Hiernach wurde auch verfahren, und auf diese Weise war das Regiment jederzeit in die Lage gesetzt, aus den vorhandenen Vorschlägen den geeignetsten auszuwählen und dabei den Wünschen der Front zu entsprechen.

Wenn das Regiment besonders in diesem Dienstzweig stets Hervorragendes leistete und überall die wohlverdiente Anerkennung fand, dann ist das nicht zuletzt diesen von der Truppe mit Freude aufgenommenen Anordnungen zu verdanken, weil hierdurch der Unternehmungslust der Tapfersten der Weg freigemacht war.

Beton-Unterstand bei Rouvroy von 1917


In der Nacht vom 27./28. November konnte die 10./236 einen schönen Erfolg dieser Art für sich buchen. Mittels eines sorgfältig vorbereiteten Handstreichs gelang es dem Uffz. Ludwig mit 12 Mann seiner Kompagnie, in eine der eigenen Stellung gegenüberliegende Sappe einzudringen und Gefangene und Beute zu machen. Die Patrouille brach 15 m hinter dem Sappenkopf in den feindlichen Graben ein, überraschte die Besatzung von 3 Mann und nahm sie gefangen. Bei der Rückkehr durch das feindliche Drahthindernis gelang es dem einen von ihnen, mit Unterstützung des sofort einsetzenden feindlichen Feuers wieder zu entweichen, sofern er nicht, was nicht einwandfrei festgestellt werden konnte, durch das eigene Feuer verwundet liegen blieb. Leider blieb der Musketier Kreß an der Einbruchstelle im französischen Drahthindernis hängen und wurde nachher vermisst. Zwei zu seiner Bergung ausgesandte Patrouillen kehrten unverrichteter Dinge wieder zurück. Uffz. Ludwig wurde mit dem E.K. I belohnt, 3 seiner Begleiter erhielten das E.K. II.

Der letzte Tag des Monats brachte noch einen schmerzlichen Verlust. Lt. Keutmann von der 8./236 wurde durch einen Granatsplitter schwer verwundet und starb gleich darauf. Am gleichen Tage konnte die 7./236 ihren alten Führer, Lt. Bischof wieder begrüßen, der von seiner in der Sommeschlacht erlittenen Verwundung wieder genesen war.

Die Gefechtstätigkeit änderte sich im Monat Dezember nicht wesentlich. Nur in den Tagen vom 08. bis 10. wurde das feindliche Artilleriefeuer zeitweise so stark, daß mit einem französischem Unternehmen gerechnet wurde. Ein solches unterblieb aber. Das starke Feuer kostete uns einen Toten. Gleich zu Monatsanfang trat ein ausgiebiger Schneefall ein, der das Gelände wie in ein weißes Tuch einhüllte, was sowohl tagsüber bei allen Bewegungen als auch nachts im Patrouillendienst zur besonderer Vorsicht veranlaßte. Die Patrouillen gingen im Schneehemd ins Vorgelände, die Stahlhelme strichen sie mit Kreide weiß an. Am 09. Dezember übernahm Major Ebel vertretungsweise die Führung des R.I.R 235, daran anschliessend auch noch diejenige des eigenen Regiments. Für ihn führte Hptm. Fricke das III./236.

Der 12. Dezember brachte eine große Überraschung: Das deutsche Friedensangebot wurde bekanntgegeben. Am Tage darauf wünschte das Generalkommando zu erfahren, wie die Truppe, insbesondere die Mannschaften, diesen Schritt aufgenommen hätten. Es war sehr lehrreich, die einzelnen Antworten zu hören. Die Maßnahme wurde sehr verschieden aufgefaßt und von den Wenigsten richtig verstanden. Weitgehende Übereinstimmung bestand merkwürdiger Weise darin, dass bei Engländern und Franzosen keine wirkliche Friedensbereitschaft erwartet wurde. Im Ganzen genommen ließ sich sagen, dass das Angebot den Widerstands- und Kampfwillen der Gutgesinnten stärkte, dass aber bei kritisch eingestellten Naturen das Mißtrauen die Oberhand behielt. Mitte des Monats wurde die Infanterie-Pionier-Kompanie der Führung des Ltn. Haubold unterstellt und dem II./236 angegliedert.

Kurz vor dem Weihnachtsfest wurde auch dem I./236 ein schöner Erfolg zuteil. Der Uffz. Boedecker der 1./236 führte am 22. Dezember mit 9 Kameraden einen Handstreich gegen die feindliche Stellung aus und nahm die Grabenbesatzung, 10 Mann des französischen L.R. 60, gefangen. Der Anschaulichkeit halber sei die Meldung des Patrouillenführers über dieses Unternehmen im Wortlaut hier angebracht:

“Die Patrouille verließ um 06.20 vorm. den Graben durch die russische Sappe, nachdem zunächst 4 Minen auf das feindliche Drahtverhau an der Einbruchstelle abgeschossen waren. Nach der zweiten Mine setzte unser Minensperrfeuer ein. Die Patrouille verfuhr in der Weise, dass der Stoßtrupp, bestehend aus Uffz. Boedecker, Gefr. Mayer, und den Musketier Trutschel und Fries und die linke Seitendeckung mit dem Res. Eichholz und den Musk. Gerth und Dietz auf das dem feindlichen Sappenkopf vorgelagerte verlassene Grabenstück zusteuerten und es besetzten, während die rechte Seitendeckung, die Musk. Rohde und Ruderisch, ein Granatloch rechts von dem erwähnten Grabenstück erwähnten Grabenstück besetzten. Musk. Dernsiepen blieb als Rückendeckung hinten. Auf ein Zeichen eröffneten die beiden Seitendeckungen Handgranatenfeuer auf den französischen Kampfgraben, um ihn nach beiden Seiten aufzurollen. Gleichzeitig verließ der Stoßtrupp das Grabenstück und drang vor. Gefr. Mayer und Musketier Trutschel überwanden das zwar sehr stark zerschossene, aber noch ziemlich lückenlose und sehr verwirrte Drahtverhau und drangen in den Graben ein. In ihm wurden sie von einem Posten angerufen, den sie aber nicht sehen konnten. Musk. Trutschel war 3 Handgranaten nach dem Mann, der nichts mehr von sich hören ließ. Darauf sprangen Gefr. Mayer und Trutschel auf den Unterstand, der sich in der Sappe befindet, zu. Mayer hielt seinen Revolver in den Unterstand und rief den Insassen zu:”Rendez-vous immediatement prisonniers, si non, je tire” Auf die Antwort aus dem Unterstand: “Camerade pardon, pardon!” rief ihnen Mayer zu: “Sortez immediatement!” Nach mehrfacher Wiederholung dieses Zurufs kamen ein Franzose nach dem andern, im ganzen 10 Mann, aus dem Unterstand heraus und wurden entwaffnet. Ein verwundeter Gegner mußte im Graben zurückgelassen werden. Um auch eine Gasmaske mitzubringen, rief Gefr. Mayer den Gefangenen zu: “Bringt eure Gasmasken mit; es erfolgt ein Gasangriff”, worauf ein Franzose seine Gasmaske vorzeigte, während ein anderer sagte, er hätte seine verloren. Die Gasmaske wurde ebenfalls mit zurückgebracht. Die ersten 3 Gefangenen wurden durch den Musk. Trutschel an die linke Seitendeckung weitergegeben, die nächsten 4 führte Trutschel selbst nach unserem Graben ab, während Mayer die folgenden 3 mitnahm. Einer von diesen, der sich im Drahtverhau verwickelt hatte, blieb zurück, wurde aber von Uffz. Boedecker, der als letzter den feindlichen Graben verließ, sichergestellt. Hinzugefügt muss noch werden, dass die linke Seitendeckung anfänglich durch ein M.G. beschossen wurde; das M.G. verstummte jedoch im Feuer unserer Handgranaten. Möglicherweise hat es auch einen Minentreffer erhalten. Das Sperrfeuer und das Handgranatenfeuer der beiden Seitendeckungen haben wesentlichen Teil am Erfolg, da den in der Sappe postierten Franzosen von keiner Seite Hilfe gebracht wurde. Die Patrouille kehrte ohne Verluste um 07.10 Uhr vorm. in den eigenen Graben zurück.”

Der vorstehenden Meldung ist ergänzend hinzuzufügen, daß der Gefr. Mayer, dessen entschlossenes, kaltblütiges Verhalten wesentlich zum Erfolg des Unternehmens beitrug, im Zivilberuf Dr. phil. war. Sein vortreffliches Französisch darf daher keine Zweifel an der Richtigkeit der Meldung aufkommen lassen. Das E.K. I für den tapferen, umsichtigen Patrouillenführer und Geldgeschenke für seine Begleiter waren der Lohn für die Tat.

Das Weihnachtsfest feierten die Kompagnien des Ruhebataillons in Falaise in Lokalen unter sich. Die Mannschaften wurden durch eine Bescherung erfreut. Die Stellungskompagnien holten die Weihnachstfeier in ihrer nächsten Ruheperiode nach.

Das Jahr 1917 brachte zuerst Regen, dann Schnee und Kälte. Die Gefechtslage erfuhr zunächst keine Änderung. Am 05. Januar holte der Uffz. Farrenkothen der 7./236 aus einer feindlichen Sappe die Besatzung, 4 Mann der französischen 40. I.D., heraus und brachte sie gefangen in die eigene Stellung zurück. Es war dies seit Mai 1915 seine 145. Patrouille. Das A.O.K. sprach der Patrouille und dem “im Erkundungsdienst oft bewährten R.I.R. 236” vollste Anerkennung aus und lobte das tapfere umsichtige Verhalten der Teilnehmer. Außer dem Führer zeichneten sich noch aus die Musketiere Rings und Weinrich, die beide schon vor dem Einbruch in die feindliche Stellung durch Splitter eigener Minen verletzt wurden und sich trotzdem nicht zurückhalten ließen, und der Musk. Waldheim. Uffz. Farrenkothen wurde mit dem E.K. I ausgezeichnet, außerdem wurde eine Geldspende mit 400 Mark unter die Teilnehmer verteilt. Am 07. Januar fand ein großer Korps-Alarm statt, der zur Zufriedenheit der höheren Stellen verlief. Im Laufe des Monats wurde aus den am leichen Minenwerfer ausgebildeten Angehörigen des II./236 eine M.W.K. gebildet, die dem II./236 taktisch unterstellt wurde. Zu ihrem Führer wurde Lt. Teichmann ernannt. Am 20. Januar trat in der Abschnittsbesetzung eine Änderung ein, die besondere Ereignisse vorausahnen ließ. Regimentsstab und II./236 mit M.G.K. wurden durch die entsprechenden Teile des I.R. 78 in der Stellung abgelöst und in der Gegend zwischen Semuy und La Chesne zur besonderen Verwendung bereitgestellt. Der Regimentsstab bezog zunächst in Voncq Ortsunterkunft; am 23. Januar siedelte er nach Montgon über. Das II./236 einschließlich Gefechtsbagage rückte am 20. nach Voncq – die 8./236 nach Semuy -, um am 23. nach Neuville et Day – die 6./236 nach Montgon – umzuquartieren. Die Zwecke, die mit dieser Umquartierung verbunden waren, sollten bald offenbar werden. Ihrer Schilderung soll der folgende besondere Abschnitt gewidmet.

M.G.-Bunker bei Rouvroy von 1917

9 Antworten auf „Das Reserve-Infanterie-Regiment 236 in der Champagne“

ich suche Information zu ltn. d. R. Heinrich Heinmöller der zum R.J.R. 236 gehört hat; ist mein Großvater; war Lehrer in Speckswinkel

Hallo Herr Brühl,
Heinrich Heinmöller aus Wasenberg, Ziegenhain diente in der 5./Kompanie des RIR 236.
Weitere Informationen per PN

Ich möchte gerne wissen ob das RIR 236 im Jahre 1917 nach Ober Elsass, in der Gegend von RUFACH , versetzt wurde, und wenn ja , in welcher Periode
Voraus Danke für die Antwort

Nachdem ich von meiner Großmutter und meiner Mutter vieles über meinen im 1. Weltkrieg gefallenen Großvater Willy Lutsche gehört hatte, war es mir erst jetzt möglich, seinen Spuren über die deutsche Kriegsgräberfürsorge nachzugehen und erfuhr von der engagierten Arbeit zum Erhalt des Andenkens dieser Männer. Dankbar bin ich vor Allem, dass mit diesem Mahnmal und der Arbeit ein Zeichen für künftige Generationen gesetzt wird, den Frieden und die Völkerverständigung zu erhalten.

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