Heinrich Wilhelm Koch

1896-1916

Ein Tagebuch

Die nachfolgenden Seiten sind Heinrich Wilhelm Koch und seiner Geschichte gewidmet. Mit Hilfe von zwei sorgsam geführten Tagebüchern, Fotos, Dokumenten sowie zahlreich bereitgestellten Informationen seiner Nichte Béatrice Koch, lässt sich sein militärisches Leben auch weit über 100 Jahre später perfekt nachvollziehen.

Das in Kurrentschrift geschriebene Tagebuch erstreckt sich über insgesamt 179 eng beschriebene Seiten, davon möchten wir hier einen großen Teil vorstellen. Sein Werk beschreibt die Zeit als Rekrut, die Kämpfe in der Champagne, im Osten und letztendlich die Teilnahme an der Schlacht von Verdun.

Zeitweise fiel das Transkribieren schwer und manche Wörter konnten nicht vollständig erkannt und somit manche Lücke leider nicht geschlossen werden. Einige Begriffe sind korrigiert, ansonsten haben wir den Text so übernommen wie er im Original verfasst ist. Die uns vorliegende Regimentsgeschichte und Teile des Kriegstagebuches seiner letzten Batterie, leisteten begleitend große Unterstützung.

(Anmerkungen unsererseits wurden in Klammern beigefügt.)

Einleitung von Halbbruder und seiner Nichte:

MEIN HALBBRUDER

Dass er gelebt hat, weiss ich von Kindheit an. Mit wieviel Liebe und Trauer hat unser Vater von ihm erzählt! Wieviele seiner Reagenzgläser hab ich zerbrochen und Mineraliensammlungen zerstreut! Aber entdeckt habe ich ihn erst zweiundsechzig Jahre nach seinem Tod – als ich aus einem Koffer sein halbvergessenes Bildnis hervorzog. Den Rahmen hatte er anno fünfzehn im Feld aus russischen Birkenholzzweigen geschnitzt und auf der Rückseite stand geschrieben:

„Lieber Bruder – zu deinem Geburtstag!“

Ein Jahr später, fast Tag für Tag, war der unter Pickelhaube und Tornister, gestiefelt und Gewehr bei Fuß auf dem Bild noch knabenhaft scheinende Jüngling im Toben der Schlacht um Verdun zum Manne gereift… und allen Scheines ledig – tot!

Bruder, der du ewig jung im alten Gotte lebst, gib, dass dein Gedächtnis nun auch in meinem goldnen Herbst so lebendig sei wie ihm, der uns beide trug: erst in Lenden, dann im Sinn wie zum Höhenflug!

Paul-Georges Koch (aus seinem letzten Gedichtband „Herbstgold“)

Mein Vater behauptet, er hätte seinen Halbbruder erst 1978 entdeckt, anlässlich seines Umzugs aus dem Münstertäler Pfarrhaus in dem er 20 Jahre lang gelebt hatte. Ich dagegen liebte es als 13 jährige schon, auf dem Speicher oder in alten Möbeln herumzustöbern. So fand ich in 1967 Heinrichs Tagebuch im Schreibtisch von meinem 1957 verstorbenen Großvater und hatte mir vorgenommen, das Tagebuch zu entziffern. Mich bewegten besonders die letzten Zeilen, mit denen Heinrich das erste Heft beendete: „Ich will dieses Tagebuch hiermit schließen, da es durch oftmalige Benutzung stark gelitten hat. Möge es mir erhalten bleiben, so lange ich lebe und falls es mir vom Schicksal bestimmt ist, auf dem Schlachtfeld fern von der Heimat zu sterben, so möge es meinen Angehörigen eine letzte Erinnerung sein.“ Die zahlreichen deutschen und französischen Soldatenfriedhöfe aus dem Ersten Weltkrieg im Münstertal hatten zweifellos in mir das Interesse an das Schicksal der jungen Opfer des Krieges geweckt. Heinrichs Tagebuch folgte mir in all meinen Umzügen aber erst letztes Jahr konnte ich dank der Hilfe von Oliver Scheer per Internet, das Entziffern des Tagebuchs vollziehen. Ihm sei herzlichst gedankt!

Béatrice Koch

Tagebuch
Seite aus dem Tagebuch von Heinrich Wilhelm Koch

Heinrich wurde am 8. August 1896 in Buchsweiler (Bouxwiller, Bas-Rhin) im damaligen Elsass-Lothringen geboren. Die Mutter gebürtig aus Linx/Rheinau, der Vater stammte aus Woerth a/Sauer (Wœrth). Während dieser Soldat im Schleswig-Holsteinischen Ulanen-Regiment Nr. 15, einem preußischen Verband war, diente der Großvater, ein Sattlermeister,  in der Armee Frankreichs.

Henri Koch
Großvater Henri Koch als Kavallerist in der Uniform des 5. Régiment de Lanciers
Heinrich Koch

Heinrichs Militärdienst begann am 3. Oktober 1914 als Einjährig-Freiwilliger im

1. Rekruten-Depot des Badischen Fußartillerie-Regiments Nr. 14 in Straßburg. Somit musste sein gehegter Wunsch, das Studium der Chemie, erst einmal auf unbekannte Zeit verschoben werden.

Seit Jahresbeginn 1915 führte er Tagebuch und lässt uns somit fast von Beginn an, an seiner Ausbildungszeit in der Kaserne und  auf den Übungsplätzen teilnehmen. Er gibt uns Einblicke in den Alltag eines jungen Rekruten während der ersten Kriegsmonate und zeigt uns, mit welchen Gedanken er sich befasste, welcher Geist in jener Zeit existierte. Der junge, lebensfrohe und nicht weniger patriotische Soldat nimmt uns mit auf das Schlachtfeld der Champagne, in die Weite Rußlands, in die Heimat und letztendlich in die Stellungen auf dem Ostufer der Maas.

Das Tagebuch ist in folgende Abschnitte gegliedert:

Herbstschlacht in der Champagne

Freudiges aber einiges verändernde Ereignis am 21. Januar 1916. Die nächste Beförderung stand an. Aus dem Gefreiten Koch wurde der Unteroffizier Koch.
Die Ruhe, welche das abgekämpfte Regiment nach dem Sommerfeldzug im Osten und der Herbstschlacht in der Champagne so dringend benötigt hatte, endete ebenfalls an diesem Freitag. Tags darauf fanden sich die Batterien einmal mehr auf einer Verladerampe wieder. Es ging ohne Umweg in die neuen Bereitstellungsräume, um an dem für den 12. Februar geplanten Angriff auf die Festung Verdun teilzunehmen.

24. Januar (Montag)
Schon sind wir wieder aus unserer Ruhe heraus. Schon immer waren Gerüchte, daß wir wegkommen würden. Am Freitag den 21. war noch Löhnungsappell. Im Anschluß daran wurde mir die freudige Mitteilung daß Baldamus, Beck und ich zu Unteroffizieren befördert worden waren.Fehr, Schorer, Spiegel und Haus werden Vize. In der Nacht vom 20. auf 21. war ich noch Posten, in der vom 21. auf 22. war ich Wachhabender. Am 22. morgens um 8 wurden wir verladen und um 11 Uhr fuhren wir ab und zwar nach Norden zu. In Liart wurden wir umrangiert und fuhren nach Charleville, das uns um ½ 12 in Sicht kam. Dann nach Sedan und dort verpflegt. An der Bahnkreuzung hinter Sedan bogen wir um und fuhren auf Verdun zu.

Bei Dunkelwerden wurden wir in Dun-sur-Meuse (Doulcon) ausgeladen und dann begann ein Nachtmarsch. Immer ein Dorf nach dem andern passiert und schließlich hielten wir in einer Ferme. Erst sollten wir im Freien schlafen! Nebel und Kälte. Dann fanden wir noch einen Raum und da legten wir uns todmüde hin.
Am 23. waren wir ebenso müde. Mittags wurden große Zelte aufgebaut für die Pferde und da legte ich mich hin, um etwas zu schlafen in einem Stall. Abends schliefen wir wieder in der
Solferino-Ferme.
Am 24. morgens erwachte ich aus einem gesunden Schlaf; ich hatte mir ein gutes Lager erfochten. Um 7 Uhr war Antreten. Die Mannschaften gingen zum Ausbauen der Batteriestellung, ich blieb zurück.

Bahnhof Doulcon/Dun-sur Meuse
Rechts sitzend als Unteroffizier

Erster Einsatz Verdun

Unerwartet und überraschend kommandierte man Heinrich und einige seiner Kameraden zurück nach Straßburg, zum Standort des Fußartillerie-Regiments 14. Dort folgte Dienst in der 2. Ersatz-Batterie, in der Batterie 6H, Urlaub sowie Ausbildungs-und Exerzierdienst im 2. Rekrutendepot.

3. April (Montag)
Es ist doch wahr geworden. Am Abend des 1. wurden wir benachrichtigt, daß am 2. morgens 7:45 der Wagen für unser Gepäck bereitstünde. Natürlich an Schlaf war wenig zu denken, wegen der Aufregung schon. Um 6 stand ich auf und packte, dann ging ich zur Batterie, meldete mich ab und machte noch schnell eine Photographie vom Mörser. Dann mit Dampf zur Sammelstelle zurück. Efinger war schon voraus. Irrtümlicherweise war aber nicht Meister sondern Herosch derjenige welcher… Esterer war aber schon weg. Herosch packte eilig und wir schoben ab nach Moirey. Mit der Kleinbahn fuhren wir dann über Damvillers und Montmédy. Nachdem wir auf dem Feldpolizeiamt unsere Brieftaschen hatten durchsucht bekommen, erreichten wir gerade noch den D-Zug nach Metz. Dort aßen wir Würstchen mit Sauerkraut und tranken Bier dazu.

Mit dem Schnellzug nach Straßburg um 6:10 fuhren wir dann wieder ab und waren ½ 9 in Straßburg. Wir hakten unsere Sachen auf und zogen zur Werder Kaserne, wo wir nach einigen Irrfahrten endlich in Stube 59 einen Platz fanden. Die andern gingen wieder fort, ich zog es vor zu bleiben, deckte mich mit Mantel und Sack zu und schlief sanft und süß wie schon lange nicht mehr. Dicke Luft rundum war verschwunden. Vor Verdun donnerten die Kanonen.
Heute Morgen erst allgemeiner Aufstand, dann gewaschen und so gut wies eben ging gegessen. Hierauf meldeten wir uns beim Bataillons Geschäftszimmer. Erst mußten wir uns dann untersuchen lassen. Befund: felddienstfähig, doch 14 Tage Erholungsurlaub dringend nötig. Dann wurden wir der 2. Ersatzbatterie in Kronenburg zugewiesen. Mittagessen wollen wir noch hier. Dann solls der Verheißung entgegen gehen. Wir gingen aber doch erst abends um 6 Uhr hin, denn erstens wären wir sonst schon zum Dienst herangezogen worden und zweitens kam Efinger zu spät. So suchten er und ich in der Dunkelheit noch Quartier, wobei ich ihm noch helfen mußte. Ich fand für mich eins in einem Bauernhause, Rustbaumgasse 6.

Heinrichs Fotoalbum

6. April (Donnerstag)
Die Entlausung hat lange gedauert, nämlich bis heute mittag. Wir habens aber gut ausgehalten, die Verpflegung war sehr gut, wir ließens uns schmecken, lagen den ganzen Tag auf der faulen Haut,bloß morgens habe ich beide mal den großen Gang aufgezogen. Natürlich wunderte sich der Lazarettgehilfe, der mich darum gebeten hatte, nicht schlecht, als er merkte, daß ich Unteroffizier bin. Als wir wieder zur Batterie kamen wurde uns gleich gesagt, wir könnten in Urlaub fahren. Nach Mülhausen hätte es aber mindestens 3-4 Wochen gedauert, bis ich die Genehmigung erhalten hätte. Bis dahin wäre ich schon wieder im Feld gewesen. So fahre ich nach Linx. Morgen soll ich fahren. Wir haben heute in der Werderkaserne neue Röcke und Hosen für die Urlaubsfahrt verpaßt und am Abend habe ich mir noch Gamaschen gekauft und meine Schnürschuhe bei Onkel Georg geholt.

7. April (Freitag)
Heute Morgen machte ich mich auf zur Urlaubsfahrt in tadellosem Wichs, neuen Rock mit feldgrauen Tressen, neue Hose, tadellos gewichste Schnürschuhe und Gamaschen, Schirmmütze, Lackkoppel mit Seitengewehr, Rucksack auf dem Rücken. In Straßburg fuhr ich 9:54 fort und war in Linx um ½ 1 Uhr. Natürlich große Verwunderung.

8. April (Samstag)
Heute Morgen schrieb ich Karten nach Hause und ins Feld. Mittags kam Onkel Georg und sagte Papa wäre in Wörth. Da schickten wir schnell ein Telegramm hin. Hoffentlich kommt er. 

14. April (Mittwoch)
Alle Hoffnung ist zunichte geworden, daß ich vielleicht sogar noch nach Mühlhausen könnte. Es geht nicht, ich kann nicht hin, und von Mühlhausen kann niemand her. Allerdings scheint ein gewisser Jemand nicht zu knapp an der Arbeit zu sein, um mir damit eine Schuld aufzuladen, als ob ich nicht wolle. Doch gerade deshalb möchte ich noch nach Mühlhausen und zwar um die Verhältnisse etwas zu sondieren. Es ist einfach schändlich einem noch das zu machen, wenn man solange fort war. Anstatt einen sehen zu wollen nachzuschreien. Morgen geht mein Urlaub jetzt zu Ende. Es graut mir etwas vor dem Anfang in der Ersatz-Batterie. Es wird sich schon machen. Meine Urlaubstage in Linx waren schön, ich hatte Ruhe und Erholung und das war auch mal dringend nötig. Morgen fängt eine neue Epoche bei mir an. 

27. April (Donnerstag)
Das Anfangsstadium ist überstanden. Über die Osterfeiertage war ja noch nichts rechtes. Ich kanns vielleicht so eine kleine Einführung nennen. Dann kamen Ersatz Leute vom Regiment 20. Da war gestern Geschütz- und Fußexerzieren. Es hatte mich ziemlich angestrengt. Das Kommandieren ist nicht so leicht wie man sichs denkt. Auch wars für mich das erste Mal. Dafür wars heute etwas besser. Heute morgen fast nichts, und mittags etwas Unterricht. Das war alles, allerdings war Dienst angesetzt. Aber da kamen die ganzen Leute weg, die wir als Ersatz bekommen hatten und noch andere dazu. Jetzt soll eine neue Batterie gebildet werden, wenn ich da mitkomme, würde es mich freuen. Das Leben hier fängt mir ja bald wieder an zu gefallen, aber…. Es hat auch Schattenseiten. Vielleicht bekomme ich dann vom Feld aus Urlaub nach Hause. 

5. Mai (Freitag)
Die Zeit vergeht. Auch in der Ersatz Batterie. Was hab ich auch in der E.B. nicht alles mitgemacht. Munitionskommandos, auf Kaliber 15, Fuß– und Geschützexerzieren. Neulich war ich sogar einmal Zugführer L.A.K. Batterie 327, einer 9 cm – Batterie auf dem Kronenburger. Gestern war ich bei der Untersuchung. Natürlich felddienstfähig. Heute morgen wurden wir auserlesen für die neue Batterie 6H. Um 9 Uhr gehts zur Werderkaserne. Was erstaunlich ist, sogar in der Ersatz-Batterie findet man sich. Wir sind jetzt 8 von 9/14. Auch Talaszyk kam vorgestern aus dem Lazarett. Er soll aber jetzt schon wieder mit zur neuen Batterie. Meine Sachen sind schon gepackt, ich gehe gerne wieder ins Feld. Allerdings hatte ich ein paar Tage in Aussicht nach Mülhausen. Aber ich denke, von der neuen Batterie kann ich das auch.

6. Mai (Samstag)
Eine kurze Spanne Zeit und viel Arbeit. Gestern Abend Antreten. Einteilen von Korporalschaften und Anweisen der Stuben. Ich bekam die 4. Korporalschaft, 10 Mann und zog mit diesen auf Stube 133. Gut kann ich aber nicht sagen, daß ich schlief, denn die Wanzen plagten mich zu sehr. Heute morgen war großes Reinemachen. Dann kam auch noch Holzwolle für die Strohsäcke. Dann puderte ich noch mein Bett mit Ungeziefer Schutz.

19. Mai (Freitag)
Das Langersehnte kam. Ich bekam am 14. Urlaub nach Mülhausen und sogar 10 Tage. Am 13. durfte ich schon fahren und kam abends um 11 Uhr an. Die Freude war unbeschreiblich auch meinerseits. Ich kam zuletzt beinahe ins Rennen, je mehr ich mich dem Amtsgericht (Wohn und -Arbeitssitz des Vaters) näherte.

Besuch bei Verwandten oder Freunden während Heinrichs 10-tägigem Urlaub im Mai 1916: Links oben stehend Heinrich, unten rechts sein Vater, neben ihm seine Stiefmutter, in der Mitte sein 7-jähriger Halbbruder Paul.

26. Mai (Freitag)
Ich habe schöne Tage im Urlaub verlebt. Sehr schöne. So daß mir die letzten Tage mein Abschied schwer vor den Augen stand. Noch schwerer wurde es mir, als ich am Montag (22.) früh eine Karte erhielt von Feldw. Danger, daß die ganze Batterie 6H aufgelöst worden sei. Ich wäre dem II. Rekrutendepot zugeteilt worden. Rekruten ausbilden, unter wild fremde Leute kommen, das schien mir unfaßbar.
Mit schwerem Herzen mußte ich scheiden. Zu aller Betrübnis dauerte es noch so lange bis ich ankam. Von ¾ 2  bis halb elf. Am Morgen mußte ich schon mit exerzieren. Mein Gepäck konnte ich noch nicht einmal holen. Wie ich erfuhr, war mein Spind aufgebrochen worden um verschiedenes daraus zu holen, das übrige zusammengepackt und irgendwohin geworfen. Wo? wußte ich auch nicht. Ich brauchte glücklicherweise nicht lange zu suchen.
Jetzt habe ich mich schon etwas an das Leben hier gewöhnt. Aber das Exerzieren fällt mir immer noch schwer. Heute habe ich Dienst. Die andern machen einen Ausmarsch. Aber ich denke immer noch mit einem geheimen Sehnen an den Heimaturlaub.

Exerzierkommando im 2. Rekrutendepot, Heinrich 4. v. rechts

10. Juni 1916 (Freitag)
Ich habe mich wohl nun etwas eingelebt aber noch nicht eingewohnt. Ein beständiges Sehnen nach dem aufregenden Hin und Her im Feld hält mich befangen und läßt mir keine Ruhe. Leider habe ich keinerlei Aussicht in nächster Zeit ins Feld zu kommen, denn ich soll Zahnersatz bekommen, das dauert schon einige Zeit.
Bloß hier und da begegnet einem etwas das uns an den Krieg erinnert. So gestern der Probefliegeralarm. Heute sind bis jetzt 10 Eisenbahnzüge mit Truppen bei uns durchgefahren: nach Westen.

Ins Feld? Ins Feld! Ein unbeständig Sehnen treibt mich hinaus ins wilde Kampfgetös, Zu meinen teuren Kameraden. Und seh ich hier, Untätig mich verdammt, In ruhiger Arbeit still zu liegen, In der die Scharen meiner Brüder Kampferprobt, Erneut ins Feld, Zu andern Fronten fahren, Da treibts mich, Weiß nicht wie, Doch immerwährend, Mit ihnen fort Ins Feld! Ins Feld zu ziehn .

Lagerplatz 10. Juni 1916

24. Juni (Samstag)
Schon bin ich einen Monat im Rekrutendepot und immer ist dieser Geheimnisvolle Drang in mir, hinaus! ins Feld zu ziehn. Leute von unseren Depots und der B.A. sind heute wieder ins Feld gezogen. Mit Blumen geschmückt und strahlenden Blickes unter den Klängen der Wacht am Rhein. Ergreift es da nicht jeden mitzusingen? Und sie tatens auch. Mit kräftiger, jugendfroher Stimme sangen sie mit. Jung und alt zog links und rechts mit freudigen Blicken. Und es sind doch schon zwei Jahre Krieg. Die Stimmung ist ernst!? Doch beim Klang der Kampfesmutigen Stimmen scheint es da nicht als ob in diesem Sange das ganze deutsche Volk mitsingen würde? Das deutsche Volk verleugnet sich nicht: wahr, edel, treu, tief und dankbar.
Es ist ein Stolz, auch in dieser schweren Zeit ein Deutscher zu sein.
In strahlender Jugendfrische und kampfesmutig ziehen sie hinaus. Ein brausendes «Lebt wohl! Auf Wiedersehn!» diesen jugendlichen Helden.
Aber auch die draußen an der Front halten treue Wacht. Vertrauend auf die Heimat auf sich selbst fügen sie todesmutig und selbstverleugnend neue Lorbeeren ihren alten Ruhmestaten bei. Kameraden vor Verdun in schwerem Ringen, gegen Franzmanns zähen Widerstand, haben Thiaumont gestürmt und sind bis Fleury vorgedrungen. Sollte es da nicht jedes Herz in stürmischem Drang an den Feind treiben? Sollte da nicht jeder schamrot werden, der sich bis jetzt davor gedrückt hat, wie ein Hund vor dem Baden? Pfui über die!!!

Der 1. Juli 1916 brachte Neues in den Alltag in der Garnison. Aus dem Ersatz-Bataillon des Fußartillerie-Regiment 14, stellte das Gouvernement Straßburg die neue Fußartillerie-Batterie 783, aus der schon bestehenden Batterie 6H auf. Heinrichs neue militärische Heimat. Mit einer Stärke von 3 Offizieren sowie 125 Unteroffizieren und Mannschaften wurde sie der 5. Armee unterstellt und am 11. Juli dem Deutschen Alpenkorps zugeteilt. Der Batterie gingen am 2. Juli zwei französische 155mm Langkanonen zu. Die folgenden Tage standen im Zeichen von Unterricht; über Gerät und Munition, den Richtmitteln, dem Verhalten auf Eisenbahnfahrten und natürlich Geschützexerzieren. Von der Militärrampe Kronenburger Tor ging es per Lok nach Spincourt, nordöstlich von Verdun. Am 8. Juli wurde dort ausgeladen und das Lager bei Moirey (Moirey-Flabas-Crépion) bezogen.

2. Juli (Sonntag)
Der Sonntag ist bisher immer der Wendepunkt gewesen. So auch diesmal. Ich bin glücklich aus dem 2./ Rekrutendepot ausgeschieden. Die neue Batterie 6H ist aufgestellt worden als Batterie 783. Schon am Montag wurden wir ausgewählt. Von da an druckten wir uns rechtschaffen um jeden Dienst, der noch vom 2. Depot ausging. Mittwoch wurden wir eingekleidet. Da am 1./ die Batterie endgültig zusammengestellt werden sollte, blieben wir bis dahin noch dem Depot unterstellt. Erst hieß es, wir würden wohnen bleiben, wo wir waren. Doch gestern vormittag wurde bekannt, daß die Batterie ins Pulverhaus 11 am Kronenburger Tor ziehen müßte.
Unser Gepäck wurde heraus gefahren. Um 4 Uhr waren wir da. Eine große Hetzjagd gabs dann, bis die Verteilung der Spinde, Betten usw. zur Zufriedenheit aller geregelt war. Abends kam dann noch der Befehl, die Geschütze abzuholen. Nachdem wir über eine Stunde gewartet hatten, kam der Zug mit 2 Geschützen für Bttr. 783, die von den 10ern aufgestellt worden war. Um ½12 waren wir wieder zu Hause. Die Geschütze sind französische lange 15,5 cm Kanonen, die sehr weit tragen. Nur ist das Instellunggehen mühsam und zeitraubend.
In unsrer Batterie selber gibts noch eine Veränderung, die Leute vom Jahrgang 97, ungefähr 46, müssen wieder zurück, dafür kommen andre vom Regiment 20 aus Breisach. Bis jetzt sind wir nur 5 Unteroffiziere, die andern werden erst befördert, so daß ich dann einer der ältesten bin. Auch meine Funktion weiß ich schon. Ich bin als vorgeschobener Beobachter bestimmt mit Hilfsbeobachter. Ich werde wohl an den Beobachtungswagen kommen. Auch soll ich etatsmäßig werden. Es ist ja zu wünschen, daß man mal einen Schritt weiter macht.

Geschütz der Batterie 783 am Pulverschuppen 11

Zweiter Einsatz Verdun

Der letzte Eintrag im zweiten Heft vom 19. Oktober 1916

Viel schreiben kann ich nun mal nicht. Das Leben ist manchmal etwas eintönig, aber es hat doch seinen Reiz. Eine neue Batterie 320 mit russischen 10 cm Kanonen besetzt mit uns den Beobachtungsstand. Der ist nun glücklicherweise soweit ausgebaut. 2. Ausgang, gute Pumpe, ein zweiter Boden. Jetzt fehlt nur noch ein Ofen. Eine Türe ist auch schon draußen angebracht. Als er noch in Bau war besetzten wir den alten Stand von 1/4, der war aber ziemlich kalt und schmierig. Das Wetter draußen ist augenblicklich nicht besonders verlockend. Es regnet fast ständig. Ein Glück, daß wir ein schönes Haus haben mit einem warmen Ofen, da sieht sich das Regenwetter schon besser an und wir könnens ertragen. Ich wohne nun mit Röhm zusammen, er ist Vize geworden. Feldw. Kann u. Kobele sind Offz. Stellv. und wohnen woanders. Heute wird Ltnt. Katzer wieder für Unterhaltung sorgen. Wir haben nämlich seit einiger Zeit Unterricht, die Einjährigen. Ist ganz interessant. Er hat auch schon verschiedene Aufgaben gestellt. Abends wenn wir dann in unsrer Bude beim Lampenlicht sitzen, fängt die Gemütlichkeit an. Da spielen wir Karten, trinken Bier, wenn wir welches haben und machen Witze.

Wenig später befindet sich Heinrich wieder auf vorgeschobener Beobachtung im Fort Douaumont, um von dort aus das Feuer der Batterie zu lenken. Der genaue Ort der Beobachtungsstelle ist leider nicht erwähnt. Das Kriegstagebuch der Fußartillerie-Batterie 783 berichtet am 23. Oktober 1916:
155 Schuß auf Sperrziel
25 Schuß auf Planquadrat 2765

Vizefeldwebel Röhm (Karl) gefallen, Unteroffizier Koch schwer, Kanonier Oehler (Rudolf) leicht verwundet.

Unmittelbar neben Vizefeldwebel Röhm und Koch schlug eine französische Granate ein. Während Röhm auf der Stelle fiel, wurde Heinrich durch Splitter in der Hüfte verletzt. Er wurde in das Reserve-Lazarett in Peuvillers eingeliefert, welches in der Kirche sowie in der Mairie untergebracht war. Dort erlag der junge Unteroffizier seinen Tags zuvor auf dem Douaumont erhaltenen Wunden.

Kirche Peuvillers

Wenige Wochen nach der Erstbestattung auf dem Soldatenfriedhof Montmedy, erhielt die Familie die Erlaubnis seinen Leichnam zu überführen. Am 9. Januar 1917 wurde Heinrich auf dem Friedhof an der Ladhofstraße in Colmar neben seiner bereits verstorbenen Mutter bestattet. Das heutige Grab existiert nicht mehr, ebenso ließen sich keine Informationen ermitteln, warum er in Montmedy und nicht auf dem Soldatenfriedhof Peuvillers, in Sichtweite des Lazaretts bestattet wurde. Leider konnte auch der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge kein Licht ins Dunkle bringen, ein Eintrag existiert nicht.

Möge dieser Bericht an ihn erinnern.

Heinrich Wilhem Koch
8. August 1896 – 24. Oktober 1916